Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am 4. April 2025 ein wegweisendes Urteil in der Verwaltungsrechtssache 10 K 670/25 gefällt. Der Landkreis Böblingen wurde darin verurteilt, der Klägerin – einem Kind aus Böblingen, vertreten durch ihre Eltern – ab Zustellung der Entscheidung einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen. Dieser Platz muss einen Betreuungsumfang von sechs Stunden täglich von Montag bis Freitag umfassen und darf mit öffentlichen Verkehrsmitteln maximal 30 Minuten von der Wohnung der Klägerin entfernt sein. Der Beklagte übernimmt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Hintergrund der Klage: Kampf um einen Kindergartenplatz in Böblingen
Die Klägerin hat mit Vollendung ihres dritten Lebensjahres einen gesetzlichen Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII. Ihre Eltern meldeten den Betreuungsbedarf bereits Mitte Januar 2024 bei der Stadt Böblingen und erneut per E-Mail Mitte Januar 2025 beim Landkreis Böblingen an. Der Beklagte reagierte Mitte Februar 2025 mit dem Angebot eines Platzes bei einer Tagesmutter, da in Böblingen kein Kindergartenplatz verfügbar sei. Dieses Angebot sollte über das dritte Lebensjahr hinaus gelten, bis ein Platz in einer Kindertageseinrichtung frei werde. Die Klägerin und ihre Eltern lehnten dies ab, da sie einen Platz in einem Kindergarten und nicht in der Tagespflege forderten.
Forderung der Klägerin und Gegenargumente des Beklagten
Die Klägerin beantragte, den Landkreis zu verurteilen, ihr einen Kindergartenplatz mit sechsstündiger täglicher Betreuung werktags nachzuweisen, der maximal 30 Minuten von ihrem Wohnort entfernt ist. Sie argumentierte, dass ihr Rechtsanspruch nicht an Kapazitätsgrenzen gebunden sei und ein Tagespflegeplatz diesen nicht erfülle. Der Beklagte hingegen forderte die Klageabweisung, da der Anspruch durch das Angebot einer Betreuung bei einer Tagesmutter erfüllt worden sei.
Entscheidungsgründe: Klärung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz
Das Verwaltungsgericht Stuttgart stellte fest, dass § 24 Abs. 3 SGB VIII der Klägerin ab Vollendung des dritten Lebensjahres einen Anspruch auf einen Platz in einer Tageseinrichtung – nicht in der Kindertagespflege – gewährt. Das Angebot einer Tagesmutter erfülle diesen Anspruch nicht, da der Gesetzeswortlaut klar zwischen Tageseinrichtungen und Tagespflege unterscheidet.
Zudem wies das Gericht die Argumente des Beklagten zurück, dass fehlende Kapazitäten oder Unmöglichkeit die Verpflichtung aufheben könnten. Es betonte, dass der Anspruch keine bloße Bestandsabhängigkeit habe, sondern den Träger der Jugendhilfe zur Schaffung ausreichender Plätze verpflichte. Dies sei eine unbedingte Gewährleistungspflicht, gestützt auf höchstrichterliche Rechtsprechung, etwa des Bundesverfassungsgerichts.
Umfang des Anspruchs: Sechs Stunden Betreuung und 30 Minuten Entfernung
Das Gericht legte den Umfang des Anspruchs auf sechs Stunden tägliche Betreuung fest, da dies der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung diene und in der Rechtsprechung als angemessen gelte. Eine Ganztagsbetreuung sei bei Kindern ab dem dritten Lebensjahr nicht vorgesehen. Die maximale Entfernung von 30 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln wurde als zumutbar definiert, basierend auf dem Prinzip der Wohnortnähe und typischen Gegebenheiten in einer Stadt wie Böblingen.